Samstag, 3. April 2010

Zurück zu „Hochst“.„Männer um die Zwanzig müssen lernen, wie man unser deutsches Land verteidigt gegen „böse rote Russen und andere rote Kommunisten“, wie mein Opa sie in seiner Umnachtung zu nennen pflegte. Sein Land verteidigt man am besten mit kurzgeschnittenen Haaren. In einer Uniform. Mit schönen, glänzenden Stiefeln. Wie Tante Inge berichtete, wollte Horst das schon mit vier Jahren, als er noch auf dem Spielplatz vor dem Reihenhaus mit fest zusammengepreßten Augen und Hinterbacken von seiner kleinen Mutti abtransportiert wurde, abwechselnd überlegend, wie man die zwei wichtigsten Künste unter einen Hut bringt, die Kunst der Hygiene, und, besonders atemberaubender Gedanke, wie lerne ich, niemals danebenzuschießen. Horst war selten in seinem Leben so aufgeregt gewesen, als er mit bebender Lunge nach bangen Monaten des Wartens den ersehnten Einberufungsbefehl zur Bundeswehr vorfand.
Vorsichtig trug er den länglichen Umschlag in beiden Händen hoch in den dritten Stock. Er holte tief Luft, riß entschlossen die Wohnungtür auf, stolzierte in das Gute Zimmer. Lässig nahm er auf dem Sessel seines Vaters Platz. Sogar breitbeinig. Wie ein Soldat. Inge ließ den Putzlappen sinken, begriff die Tragweite der Situation, schritt zum Klappstuhl hinter der Schrankwand, entfaltete ihn, machte es sich so bequem, wie möglich, und betrachtete die schneeweißen, gestärkten Gardinen vor dem Fenster. Befriedigt stellte sie fest, „…sie sehen ja wirklich aus, wie Luft..“ Es lag eine Spannung in der Luft.
„Hohl ä Priew Öwnä!“ (= Hol einen Brieföffner). Sie stand auf, noch bevor er zu Ende gesprochen hatte. Es war die Aufforderung zur Musterung. Nicht jeder kann einfach so in die Bundeswehr eintreten. Man braucht bestimmte Voraussetzungen. Man muß fähig sein. Man braucht ein gewisses Talent. Horst verdoppelte seine Vorstellungskraft: er würde es schaffen. Er würde niemals danebenschießen.
Leider kam es nie so weit. Nun, er war in der Musterung immerhin so gut, daß sie ihm versicherten, er würde einen, seinen ganz persönlichen Einberufungsbefehl bald erhalten. Horst verbrachte zusammen mit seinen Eltern eine Zeit glücklicher Erwartung. Man war nett, rücksichtsvoll und großherzig zueinander, und wartete geduldig auf den Befehl. Er würde kommen. Dann war es soweit. Horst wurde tränen- und segensreich (mit zahlreicher Wegzehrung, die seine Mutter versonnen lächelnd sorgfältig zubereitete hatte) für die Reise in die Lebenstüchtigkeit entlassen.
Zwei Tage später. Im Reihenhaus klingelte es Sturm. Verstört öffnete sein Vater die Wohnungstür, schaute schnell links und rechts, schloß die Tür und drehte vorsichtshalber noch den Schlüssel rum. In der Küche sassen sie dann alle drei für die nächsten Stunden. Schweigend. Mit langen Gesichtern vor sich hinstarrend am Tisch.
Möglicherweise war Horst war ein bißchen zu eifrig gewesen. Sie feuerten ihn nach kurzer Beratung am Morgen des zweiten Tages mit der fadenscheinigen Begründung, dass Männer, die den sehnlichen Herzenswunsch hegen, niemals daneben zu schießen, in der Bundeswehr nicht wirklich erwünscht sind. Ob Horst statt dessen als Zivildienstleistender, in einem Altersheim oder so,..mehr für seine charakterliche Entwicklung…oder so was in der Richtung. Es dauerte zweieinhalb Jahre, bis die Familie dieses Ereignis einigermaßen verdrängen konnte und langsam eine oberflächliche Ruhe über die Wohnung im dritten Stock sank. Die Aufgewühltheit der verzagten Herzen blieb so lebendig wie der Vulkan Merapi auf Java. Sie hat sich nie wieder gelegt.

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