Dienstag, 27. April 2010

Mich interessierte weit mehr, was meine Puppen in ihrem Körperinneren hatten. Die dicke Hummel fliegt auf den Kinderwagen zu und verschwindet unter dem faltigen, halb heruntergezogenen Verdeck, und zwei Sekunden später höre ich schlimmstes, panisches Geschrei. Die niedliche Hummel macht Geräusche, wie ein Minihubschrauber, versucht, den planlos herumfuchtelnden Patschhänden des ungeschickten, hysterisch brüllenden Wesens, von dem mir versichert wurde, es sei meine Schwester, unverletzt zu entkommen. Ich schob das Verdeck ein bißchen höher. Die Hummel konnte verschreckt, aber ohne Blessuren, entweichen. Vor mir lag ein hochrotes, schwer nach Luft ringendes, tränenüberströmtes, verzerrtes, sehr rundes Babygesicht. Ich glaubte, meinen Augen nicht zu trauen: die spärliche Kopfbehaarung weist ohne jeden Zweifel eine – rötliche? – Färbung auf. Mit einem leichten Schreck und verwirrt über diesen unschönen Anblick beschloss ich,… möglichst „wenig“ Schwester zu haben. Warum kann sie nicht, wie jedes andere Kind auch, mit der Hummel spielen! Dachte ich, starrte in die verzweigten, sich ganz leicht wiegenden Äste und das dichte Blattwerk der alten Linde vor dem Balkon, und fühlte die Wut aufsteigen. Zu den komplizierten Erwachsenen kam nun noch eine komplizierte, rötlichhaarige Schwester. Ich mußte aufs Klo, ging durch den langen Flur über den roten Sisalläufer und öffnete die Badezimmertür. Die Erwachsenen schlossen sich da immer selbst ein. Wütend drehte ich den Schlüssel herum. Nachdem mehrere Erwachsene zwei Stunden lang vergeblich versucht hatten, mich aus dem Badezimmer zu befreien (ich gab mir Mühe, ganz laut und furchtbar zu schreien) holten sie die Freiwillige Feuerwehr. Mit ziemlichem Aufwand fuhren sie aussen am Haus eine lange Leiter hoch, lehnten sie an der Fensterbank an, und unter lebensgefährlichem Schwanken kletterten zwei Feuerwehrleute unter ermutigenden Zurufen der umstehenden Menschenmenge, die sich den Anblick eines abstürzenden Feuerwehrmannes nicht entgehen lassen wollte, bis zu unserem Badezimmerfenster hoch. Es gab damals kein Fernsehen. Der Feurwehrmann öffnete das Fenster entschlossen, indem er es einschlug ( das klirrende Glas erschreckte mich zu Tode) und kletterte über die Brüstung, gefolgt von einem Kollegen. Er erblickte ein wie am Spiess brüllendes kleines zweieinhalbjähriges Mädchen, auf dem Klo sitzend, mit schlenkernden Beinchen, bemüht, das Gleichgewicht zu halten. Die Freiwillige Feuerwehr übte regelmäßig das Retten von erwachsenen Menschen, und solchen, die es noch nicht waren, und allerlei Getier. Mit einem tollkühnen Satz hechtete der Feuerwehrmann in meine Richtung und packte mich bei den dünnen, honigblonden Zöpfchen, gerade, als ich Begriff war, entkräftet loszulassen und ins relativ geräumige Klo zu plumpsen. Vor der Tür im Flur schrien die erwachsenen Menschen entsetzt auf. Dann hörte ich ein dumpfes Krachen, als der Feuerwehrmann, unter dessen Arm ich steckte, mit einem einzigen, wuchtigen Tritt seiner Feuerwehrstiefel die Badezimmetür aufbekam. Aufgeregt wurde ich umzingelt, von allen betastet und besichtigt und als festgestellt wurde, das nur Popo und Stimmbänder arg strapaziert, der Rest von mir aber soweit in Ordnung war, defilierten sie einzeln an mir vorüber, mit strengem Blick, erhobenem Zeigefinger und der Ermahnung, sowas ja nie wieder zu tun: „Du Unart, du! Nicht wieder tun!“ Dann wurde ich zur Strafe am hellichten Tag ins Bett gesteckt.

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