Hartmut, der Zweite, war zwei Jahre alt, als sein von allen vergötterter Bruder seinen letzten pfeifenden Atemzug tat. Der todkranke Junge holte ganz tief Luft, stieß diese mit einem unheimlichen, sehr kräftigen Rasseln elefantengleich aus den geweiteten Nasenflügelchen... („mein Gott! Was für feine Nasenflügelchen! Wie eine Libelle, so zart, so ...kunstvoll geschnitzt!“ hätte angeblich der obduzierende Pathologe voll ehrlicher Bewunderung gesagt)...und atmete dann nicht mehr.
Tante Lotti, Onkel Emil und auch der übriggebliebene kleine Hartmut, waren mehre Jahre nicht mehr ansprechbar. Der Verlust des Erstgeborenen, mit zahlreichen ungewöhnlichen und vielversprechenden Begabungen überreich gesegneten bildschönen Kindes, brachte tiefe Trauer und eine verzweifelte Lähmung über die einstmals lebensfrohe Familie. Die Männer haben sich oberflächlich erholt. Die Mutter niemals. Sie, die immer gesund war vorher, wurde von allerlei unbekannten heimtückischen Krankheiten des Körpers und der Seele ereilt. Nach einigen Jahren entwickelte sie verschiedene Krebssorten bösartigsten Kalibers, die sie nicht sofort dahin rafften, sondern erstmal noch weitere dreieinhalb Jahre schwersten Leidens bescherten. Die ganze Familie atmete auf, als ein Jahr nach Hartmuts Abitur(er hatte fast die Hälfte seines Zivildienstes hinter sich) die Nachricht von Tante Lottis Tod kam: endlich hatte sie es geschafft. Sie war eine geliebte Person für viele gewesen und hinterließ eine große Lücke. Onkel Emil und Hartmut erledigten den gesamten Haushalt in Lottis letzten Jahren, so fiel es, technisch gesehen, nicht so schwer, ohne die Frau und Mutter im Haus zu leben. Sie versuchten, tapfer und männlich, das Schicksal anzunehmen und sich gegenseitig Halt zu bieten. Emil sah nie wieder im Leben eine Frau an.
Hartmut studierte nach dem Zivildienst sein Neigungsfach Geologie. Er lernte eine junge Kollegin kennen, die seine Begeisterung für alte Gesteinsbrocken teilte, und sie nahmen einen Forschungsauftrag in Südafrika an, weil sie sonst keine Alternative hatten. Schweren Herzens verabschiedete sich Hartmut von seinem stark gealterten Vater (immer noch so dünn, so abgemagert, wie kurz nach dem Krieg), flog nach Südafrika und heiratete dort seine Kollegin Barbara. Viele Jahre später erfuhr ich, dass die Ehe nach einigen Jahren und vier Kindern in die Brüche ging, Hartmut einen Forschungsauftrag fünfzig Kilometer weiter, aber in einer völlig verschiedenen Landschaft annahm, und sich irgendwo im Busch einige Blockhäuser gebaut hat. Von da verliert sich seine Spur.
Montag, 12. April 2010
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