Jedes Jahr zur gleichen Zeit wird seit einer spätmittelalterlichen Brandkatastrophe zur Zeit des Ablaßbriefhandels die Heilige Agatha mit einer Lichterprozession durch die Straßen der Stadt geehrt. Man dankt ihr, zeigt Respekt, singt fromme Gesänge mit der selben Inbrunst, wie die Sizilianer, und hält eine blutrote Laterne, dem furchtbaren Martyrium der Heiligen eingedenk. Außer der Heiligen Agatha verehrt man den Sankt Martin und an Fronleichnam und zu anderen Gelegenheiten werden Prozessionen veranstaltet. Ich erinnere mich, wie ich, geschüttelt von Schauern der Inbrunst, bei Wind und Wetter, Hagelsturm oder Gluthitze bei nächtlicher Dunkelheit und gleißend hellem Sommertag als Teil solcher Prozessionen zu Ehren verschiedenster Anlässe, mit klebrigen Händen Blumen, eine leuchtend rote Papierlaterne oder eine mit meiner ungeschickten Kinderhand ausgehöhlte, mit groben, ungeübten Schnitzereien verzierte Runkelrübe an einen Stock umklammernd, tief gläubig fromme Gesänge mitsang, in der Hoffnung, meine flehenden Gebete, mein Bitten um Schulderlaß mögen vom Lieben Gott erhört werden. Ein reines Gewissen ist ein sanftes Ruhekissen, hieß es. Meistens schlief ich schlecht.
Zweifellos nahm der Zahnarzt den Glauben ungleich ernster, als seine Emma, die für Tiefgläubigkeit schlichtweg zu großzügig war. Entsprechend frei legte sie die Schriften aus, Anlaß für lästiges Gerede und undurchsichtige Gerüchte in der kleinen Stadt. Dieses Gemunkel hielt sich nur deshalb in Grenzen, weil der Zahnarzt für offene Angriffe und lustvolle Lästereien ein zu wichtiger, zu angesehener Mann im Ort war.
Keine Ahnung, unter welchen Umständen sich so ein ungleiches Paar zusammen finden konnte. Erst mit dem Tod erhielten sie eine Chance zum Entrinnen. Ein gläubiger Katholik betrachtet die Scheidung als Sünde, und jede Sünde verringert die Aussicht auf die Herrlichkeit. Bekanntermaßen erhält derjenige im Himmel seinen verdienten Lohn, wer auf Erden so viel, wie möglich, gelitten hat, bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung größter Frömmigkeit. Zweifel ist auch eine Sünde... Augen zu - und durch, - so lebt der aufrechte Katholik.
Samstag, 24. April 2010
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen