Freitag, 26. März 2010

Sie merkte, dass sie etwas vergessen hatte. Sie tat einen tiefen Atemzug und rief hoffnungsvoll hinter meinem zukünftigen Vater her: „Ich tanze schrecklich gerne!“ Sie war naiv, ich erwähnte es. Normalerweise ist Naivität eine gute Eigenschaft. Sie ist nur insofern schlecht, als das ihr Träger oft ausgenutzt wird. Für meine Mutter war eine andere, seltenere Form der Naivität charakteristisch. Sie versuchte, unter allen Interessenten den Besten herauszufinden, ohne auch nur einen Atemzug lang die Distanz zu verlieren. Sie ließ keinen ran.
Ihre Geschwister waren ganz anders geartet. Sie hatte deren drei. Sie war die zweite. Zuerst kam die ältere Schwester Inge, dann sie, und die beiden letztgeborenen waren die zweieiigen Zwillinge Gerd und Erika. Vier absolut verschiedene Kinder. Aber nur meine zukünftige Mutter hatte so eine ausnehmend einnehmende Wirkung auf die Männerwelt. Vor allem war es Erika, die darauf schrecklich eifersüchtig war. Sie tat alles mögliche, um zu gefallen. Komisch, warum klappte es bei ihr nicht auch so, wie bei meiner reinen, stets lachenden zukünftigen Mutter.
Nach dem Zweiten Weltkrieg waren die übriggebliebenen Männer es leid, immer nur weinende Frauen zu sehen. Deshalb ist klar, wo das Geheimnis des unerklärlichen Erfolges meiner katholisch erzogenen weltunerfahrenen,einundzwanzigjährigen, zukünftigen Mutter bestand. Ich erwähnte es bereits, sie war naiv.
Fröhlich, jung, hübsch, kerngesund, topfit im Haushalt, temperamentvoll, und doch gehorsam, ja, unterwürfig,: sie strahlte aus, was Männer unwiderstehlich anzieht, und, erstaunlich: – sie setzte nichts bewußt ein.
Sie konnte gerade mal berechnen, ob der vor ihr knieende, bis zur Blindheit verliebte, gebildete Akademiker die Aufzucht ihrer zukünftigen Jungen plus den Unterhalt ihrer eigenen Person aufzubringen in der Lage war. Ihre Vitalität wirkte auf meinen zukünftigen Vater, als ob nichts in der Welt sie jemals kleinkriegen würde. Noch auf der Treppe beschloß er, sie zu heiraten und mit ihr Kinder zu haben.

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