Dienstag, 30. März 2010
Je älter der Horst wurde, desto verrückter wurde er. Er sonderte sich immer schon ab von den anderen Kindern aus den Reihenhäusern, begann, ein unnatürliches Interesse für ausgeklügelte Methoden der Reinhaltung von Wohnung, Möbeln, Gegenständen aller Art in seiner näheren Umgebung zu entwickeln. Bereits nach wenigen Jahren hatte er eine spezielle, vermutlich hocheffektive Art gefunden, sich die Hände zu waschen,- kurzum, er hatte eine ausgewachsene Zwangsneurose. Horst wurde größer und größer. Und immer kräftiger. Das konnte ich auf den Fotos sehen, die meine Mutter im Abstand von mehren Jahren immer mal wieder vorlegte.“Kuck mal, so siehder Hochst jetzt aus!“ Viele Jahre später, er hatte es irgendwie bis zum Studenten an der Universität zu Frankfurt gebracht, was es für ein Fach war, weiß ich nicht mehr,ich glaube aber Jura, trat er einer Schlagenden Verbindung bei. Gleich bei der ersten Fechtübung wurde dem Horst sein eines Auge ausgestochen. Die entsetzten Eltern erlebten ein Drama. Ein passendes Ersatzauge für die grauenhafte Höhle in seinem Gesicht ließ sich ohne die richtigen Beziehungen nur schwer auftreiben. Nach vielen Tränenozeanen und schlaflosen Nächten beschafften Vater Reinhold und Mutter Inge, mittlerweile zu allem entschlossen, auf abenteuerliche Art und Weise und am Rande der Legalität, ein farblich beinahe, dafür in diese eigenartige Schlitzform mikromillimetergenau passendes Auge aus pechschwarzem, schimmerndem Glas. Ich bekam ehrfürchtige Schauer, als ich die Erwachsenen meiner Familie den Begriff „Muranoglas“ („Wirklich? Echtes Muranoglas?“) flüstern hörte. Ich beobachtete mich in dem protzigen neuen Spiegel, den meine Mutter in unserem einen Wohnzimmer heute morgen hatte aufhängen lassen. Wie sah ich aus, wenn ich Geheimnisse erfuhr, die nicht für meine Augen bestimmt waren… und merkte selbstkritisch, dass ich wie erstarrt aussah in so einer Situation. Von da an trainierte ich fleißig das genaue Ohren-Spitzen-und-unbeteiligt-aussehen. Zurück zu „Hochst“. „Männer um die Zwanzig müssen lernen, wie man unser deutsches Land verteidigt gegen „böse rote Russen und andere rote Kommunisten“, wie mein Opa sie in seiner Umnachtung zu nennen pflegte. Sein Land verteidigt man am besten mit kurzgeschnittenen Haaren. In einer Uniform. Mit schönen, glänzenden Stiefeln. Wie Tante Inge berichtete, wollte Horst das schon mit vier Jahren, als er noch auf dem Spielplatz vor dem Reihenhaus mit fest zusammengepreßten Augen und Hinterbacken von seiner kleinen Mutti abtransportiert wurde, abwechselnd überlegend, wie man die zwei wichtigsten Künste unter einen Hut bringt, die Kunst der Hygiene, und, besonders atemberaubender Gedanke, wie lerne ich, niemals danebenzuschießen. Horst war selten in seinem Leben so aufgeregt gewesen, als er mit bebender Lunge nach bangen Monaten des Wartens den ersehnten Einberufungsbefehl zur Bundeswehr vorfand.
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