Montag, 29. März 2010

Für einen Moment schob er alle Hemmungen beiseite und stellte sich vor, wie er sie flachlegen würde. Es gefiel ihm sehr, was er da sah. So sehr, dass er beinahe über die letzten Treppenstufen gestolpert wäre. Er wußte, ihr würde nichts entgehen, nicht mal eine herabschwebende Schuppe. Und das machte sie für ihn noch begehrenswerter. Ein Mädchen, dem kein Schüppchen entgeht!entfuhr es seinen Lippen. Sie mußte was gehört haben.
„ Nee! das kann nich sein! Ich habbes sehr gewissenhaft gemacht. Und schnell! Wupp-wupp!“
Fasziniert starrte er die Treppe runter, auf das putzende Mädchen mit diesen komischen Gummigaloschen und dem ermutigenden Strahlen im Blick. Verträumt wiederholte er diese Worte, die ihm wie der Schlüssel zu ihrem Herzen und zu ihrem Unterleib vorkamen:
„Wupp-wupp!“
Sie nickte. Eifrig, wie zum Beweis, schwang sie den nassen Aufnehmer, während sie nach oben ins Dunkle sah, man war ja sparsam, und Elektrizität ist nicht billig; schliesslich hat der Allmächtige den Menschen vorsichtshalber mit einem Tastsinn ausgestattet. Fröhlich kichernd wischte sie die Treppenstufen ab, eins, zwei, drei, vier, ….wupp-wupp.
Ihre drei Geschwister bewundern sie insgeheim, sind gar ein bißchen neidisch, weil sie so gut im Putzen und im Lions-Club ist. Meine Mutter hatte mehr Glück, als die anderen drei Zahnarztkinder, alle überragt sie an Glanz und Leuchtkraft. Die herzensgute Inge, die älteste, die Kleine mit den breiten Hüften und den wunderschönen, glatten, naturblonden Haaren, zu einer eleganten Frisur streng hochgesteckt, damit sie ein bißchen größer wirkte, heiratete selbstverständlich auch und zog irgendwo in die Nähe von Frankfurt am Main. In Frankfurt kann man an jeder Ecke hervorragendes Kokain und erstklassiges Crack kriegen und sich zwischen parkenden Autos oder in der S-Bahn einen Druck machen. Tolle Stadt. Inge interessierte sich aber keineswegs für Drogen, sondern nur für Mann und Sohn. Sie stand schwer unter der Fuchtel ihres sächsisch sprechenden Mannes Reinhold. Sie hat in ihrem ganzen Leben noch niemals eine eigene Entscheidung getroffen und fragt ihn, ob sie aufs Klo muß. Der einzige Sohn Horst ( der „Hochst“) sah als Baby aus, wie ein Koreaner, rundes, flaches Gesicht, seltsam gelb-bräunlicher Teint, pottschwarze Haare und geschlitzte Augen, so schwarz, wie zwei Filzstifte. Er war niedlich, aber wirkte seltsam auf der alten Fotografie, die zwei unbeschwert lächelnde junge Mütter mit ihren in dicke Mullwindeln verpackten Babies zeigt. Das eine Baby ist weiblich. Das werde ich mal sein. Das andere, das männliche, schaut angestrengt in die Kameralinse mit so schmalen Augen, daß ich mich gefragt habe, ob er überhaupt dadurch gucken kann. Als vier- fünfjähriger wurde er im Viertel berühmt. Wenn er auf dem Spielplatz vor dem Reihenhaus vom Ruf des Mastdarms überrascht wurde, begann er lauthals zu brüllen: „Muddi! Muddi! Schmusö Ba-Hauwö! Muddi! Muddi! Schmusö Ba-Hauwö!“ , das ist frankfurterisch und heißt in hochdeutsch: Mutti! Mutti! Ich muß einen Bah-Haufen! Mit aller ihm zur Verfügung stehenden Kraft und fest zusammengepreßten, geschlitzten Augen schrie der stämmige kleine Junge mit dem koreanischen Pfannekuchengesicht diesen Text solange, bis die etwas kurz geratene ältere Schwester meiner Mutter ihre breiten Hüften in Bewegung setzte, sie die Treppen hinunterschwang und den entsetzlich heulenden Horst in Windeseile in die Wohnung im dritten Stock aufs Klo schaffte.

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